ICSI – Spermienmikroinjektion bei männlicher Unfruchtbarkeit

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geschrieben von Philomena Marx27. Mai 2025
Mikroinjektion: Embryologe führt ICSI durch – Spermium in Eizelle

Die Intrazytoplasmatische Spermieninjektion (ICSI) ist heute die wichtigste Mikromanipulation, wenn eine klassische In-Vitro-Fertilisation (IVF) an schwerer männlicher Infertilität scheitert. Der folgende Leitfaden deckt alle Aspekte ab – von Indikationen, Ablauf und Kosten bis zu Erfolgschancen, Risiken und rechtlichen Rahmenbedingungen.

Was genau ist ICSI – und wann kommt sie zum Einsatz?

Bei ICSI wird unter dem Mikroskop ein Spermium mithilfe einer Mikro-Pipette direkt in das Zytoplasma einer reifen Eizelle injiziert. Das Verfahren ist indiziert bei OAT-Syndrom, Azoospermie nach TESE/micro-TESE, stark erhöhter DNA-Fragmentation, Antikörpern gegen Spermien, aber auch nach wiederholtem Fertilisations­versagen in vorangegangenen IVF-Zyklen. Genetische Abklärung (AZF-Deletionen / CFTR-Mutationen) ist bei schwerer männlicher Störung obligat, weil Defekte an Söhne weitergegeben werden können.

Befruchtungsmethoden im Schnellvergleich

  • ICI / IVI – Heim-Insemination
    Sperma wird per Spritze / Becher vor den Gebärmutterhals platziert. Sinnvoll bei leichten Fruchtbarkeits­problemen oder Spendersamen; niedrigste Kosten, maximale Privatsphäre.
  • IUI – Intrauterine Insemination
    Gewaschene Spermien gelangen via Katheter direkt in die Gebärmutter. Geeignet bei moderaten männlichen Faktoren, Zervix-Hindernissen oder unerklärter Kinderlosigkeit; klinisch einfach, mittlere Kosten.
  • IVF – In-Vitro-Fertilisation
    Mehrere stimulierte Eizellen werden im Labor mit aufbereiteten Spermien zusammengebracht. Standard bei Tubenverschluss, Endometriose oder erfolgloser IUI; höhere Erfolgsraten, höheres Budget.
  • ICSI – Spermienmikroinjektion
    Ein einzelnes Spermium wird mikrochirurgisch in die Eizelle injiziert. Präzisionslösung bei schwerster männlicher Infertilität oder TESE-Material; teuerster Ansatz, aber beste Chance bei stark eingeschränkter Spermien­qualität.

Was kostet eine ICSI?

ICSI ist eine Zusatzleistung zur IVF. Gesamtbudget pro Stimulationsrunde: 7 500 – 10 000 € in Deutschland (inkl. Medikamente, Punktion, ICSI-Labor, Transfer). Der ICSI-Aufpreis selbst liegt bei 400 – 1 000 €.
Gesetzliche Kassen tragen 50 % der Grund-IVF-Kosten (nicht den ICSI-Aufpreis) für drei Zyklen, wenn beide Partner verheiratet sind und Partner­eigenes Sperma verwendet wird. Österreichs IVF-Fonds übernimmt 70 % aller Kosten bis 40 J.; in der Schweiz zahlen Paare meist selbst, einige Zusatz­versicherungen bezuschussen Medikamente oder TESE.

Zusatzkosten: Hodenbiopsie (TESE) 1 800 – 3 000 €, genetische Tests 300 – 600 €, Präimplantations­test (PGT-A) 1 500 – 3 500 €, Kryolagerung 300 – 500 €/Jahr.

Schritt-für-Schritt-Ablauf einer ICSI

  1. Diagnostik & Beratung: Spermiogramm, Hormonprofil, Ultraschall, Infektions- und genetische Tests.
  2. Ovarielle Stimulation: 8 – 12 Tage Gonadotropine, engmaschiges Monitoring, Low-Dose bei PCO-Risiko.
  3. Punktion & Spermien­gewinnung: 34 – 36 h nach hCG/GnRH-Trigger; TESE/micro-TESE bei Azoospermie.
  4. Spermien­auswahl: Dichtegradient, IMSI oder Hyaluronat-Bindung (PICSI), um DNA-Schäden zu minimieren.
  5. Spermieninjektion: 1 Spermium pro reife MII-Eizelle mittels Mikromanipulator.
  6. Embryokultur & Time-Lapse: lückenlose Beobachtung bis Tag 5 (Blastozyste). Optional PGT-A/PGT-M.
  7. Embryotransfer oder Freeze-all: Single-Embryo-Transfer reduziert Mehrlingsrisiko; bei hohen Estradiolwerten „Freeze-all“, später Kryo-Transfer im natürlichen oder HRT-Zyklus.
  8. Luteal-Phase-Support: Progesteron (Gel/Kapsel) bis zur 10.–12. SSW.
  9. β-hCG-Test & Ultraschall: Schwangerschaftstest nach 12–14 Tagen, erster Herzschlag-Scan rund 6.–7. SSW.

Erfolgschancen – realistische Zahlen

Befruchtungsraten nach ICSI liegen bei 70 – 80 %. Die klinische Schwangerschaftsrate pro Transfer entspricht einer IVF und hängt primär vom mütterlichen Alter ab:

  • < 35 Jahre: 45 – 55 %
  • 35–37 Jahre: 35 – 45 %
  • 38–40 Jahre: 25 – 30 %
  • > 40 Jahre: < 15 %

Durch zusätzliche Kryo-Transfers (vitrifizierte Embryonen) steigt die Baby-Take-Home-Rate pro Stimulationsrunde bei Frauen unter 35 Jahren häufig auf 60 % und mehr.

So kannst du deine Chancen verbessern

Lebensstil: Normalgewicht, Rauchstopp, Alkohol < 5 Einheiten/Woche, tägliche Folsäure + Vitamin D, moderater Sport.

Männlicher Faktor: Antioxidativ reiches Essen (Vitamin C/E, Coenzym Q10, Omega-3) und 3-monatige Sperma-Abstinenz von Nikotin & Anabolika reduzieren DNA-Fragmentation.

Medikamentöse Optionen:DHEA & CoQ10 können Low-Responderinnen unterstützen (Evidenz begrenzt – ärztlich abklären).

Risiken & Nebenwirkungen

  • OHSS durch Stimulation – mit Antagonisten-Protokoll + Freeze-all heute selten (< 1 %).
  • Mehrlinge bei Doppel-Transfer – Single-Embryo-Transfer empfohlen.
  • Epigenetische Effekte – leicht erhöhter Anteil an Imprinting-Störungen (absolutes Risiko < 1 %).
  • Psychische Belastung – hohe Kosten und mehrfache Zyklen können Stress auslösen; psychosoziale Beratung wird empfohlen.

Rechtliche Rahmenbedingungen (Deutschland)

  • Embryonen­schutzgesetz erlaubt ICSI, limitiert aber max. drei Kultur-Embryonen pro Zyklus („Drei-Embryonen-Regel“).
  • Samenspender­re­gister­gesetz garantiert Kindern ein Auskunftsrecht über ihren genetischen Vater ab dem 16. Lebensjahr.
  • TESE/micro-TESE erfordern eine Gewebe-Entnahme-Erlaubnis des Zentrums und eine Risikoaufklärung laut Transplantationsgesetz.

Wissenschaftliche Quellen & Leitlinien

Fazit

Die Intrazytoplasmatische Spermieninjektion ist heute die präziseste Methode, um schwerste männliche Infertilität zu überwinden. Mit moderner Mikro­manipulation, gutem Labor-Setup und Single-Embryo-Transfer erreicht ICSI Erfolgsraten bis 55 % pro frischem Transfer in jungen Altersklassen. Eine umfassende Aufklärung über Kosten, Risiken und psychische Belastung sowie genetische Beratung bei vererbbarer Unfruchtbarkeit sind Voraussetzung dafür, dass die High-Tech-Therapie ihr Potenzial voll ausschöpft.

Häufig gestellte Fragen (FAQ)