Seit der Geburt von Louise Brown im Jahr 1978 haben sich Reproduktionsmedizin und Glaubenslehre stetig neu austariert. Ob In-vitro-Fertilisation (IVF), Intrauterine Insemination (IUI) oder Samenspende – jedes Verfahren wirft Fragen nach Eheverständnis, Lebensschutz und Abstammung auf. Dieser Leitfaden zeigt, wie die wichtigsten Religionsgemeinschaften 2025 mit Kinderwunschbehandlungen umgehen und welche Grenzen sie ziehen.
Christentum
Von strenger Ablehnung bis zu pragmatischer Zustimmung – die Positionen der christlichen Kirchen unterscheiden sich deutlich.
Katholische Kirche
Donum Vitae und Dignitas Personae erlauben Maßnahmen, die den ehelichen Akt unterstützen (z. B. IUI mit Eigensamen), verbieten jedoch jede künstliche Befruchtung im Labor. Kein Embryo darf verloren gehen.
- Erlaubt: Zyklusmonitoring, hormonelle Stimulation, NaProTechnology, IUI mit eigenen Gameten, Kryokonservierung mit anschließendem vollständigen Transfer.
- Verboten: IVF/ICSI, Samenspende, Eizellspende, Leihmutterschaft, Embryonenforschung, nicht-therapeutische PID.
Protestantische Kirchen
Die EKD akzeptiert IVF und IUI bei konsequentem Single-Embryo-Transfer. Evangelikale Denominationen fordern, dass gar keine überschüssigen Embryonen entstehen.
- Erlaubt: IVF, IUI, medizinisch indizierte PID, Samenspende nach Gemeindebeschluss.
- Verboten oder kritisch: bewusste Embryonenvernichtung, anonyme Spenden, ungeschützte Leihmutterschaft.
Orthodoxe Kirchen
IVF und IUI sind zulässig, wenn ausschließlich Gameten des Ehepaars verwendet werden. Eine Single-Embryo-Politik soll überschüssige Embryonen vermeiden.
- Erlaubt: IVF, IUI, Kryokonservierung eigener Embryonen, PID bei letalen Erbkrankheiten.
- Verboten: Samenspende, Eizellspende, Leihmutterschaft, Embryonenforschung.
Latter-day Saints & Pfingstkirchen
- LDS (Mormonen): IVF/IUI mit eigenen Gameten erlaubt; Fremdspenden nur nach Gewissensentscheidung.
- Pfingstkirchen: Bandbreite von Ablehnung bis pragmatischer Zustimmung; IUI wird meist weniger kritisch gesehen als IVF.
Jehovas Zeugen
Kein offizielles Verbot. Leitartikel betonen, dass kein Embryo absichtlich verworfen werden darf. Fremdgameten gelten als Gewissensfrage, werden jedoch häufig abgelehnt.
- Erlaubt: IVF, IUI, Kryokonservierung eigener Embryonen mit anschließendem Transfer.
- Verboten oder kritisch: Samenspende, Eizellspende, Leihmutterschaft, nicht-medizinische PID.
Islam
Maßstab ist das Prinzip Nasab, die lückenlose Abstammungslinie.
Sunni
Fatwas beschränken alle Verfahren auf Gameten des Ehepaars.
- Erlaubt: IVF und IUI mit Ei und Sperma des Ehepaars, Kryokonservierung während bestehender Ehe.
- Verboten: Samenspende, Eizellspende, Leihmutterschaft, Embryonenadoption.
Shia
Spenden und Leihmutterschaft sind zulässig, wenn Abstammung und Kindesrechte vertraglich geregelt sind.
- Erlaubt: IVF, IUI, Gameten- und Embryospende, Leihmutterschaft, medizinische PID.
- Verboten oder kritisch: anonyme Spenden, willkürliche Embryonenvernichtung.
Judentum
Die Halacha bejaht Technik, schützt jedoch Abstammung und Embryonenwürde.
Orthodox
IVF/IUI mit eigenen Gameten sind erlaubt, wenn ein Rabbiner den Laborprozess überwacht. Fremdspenden bleiben die Ausnahme.
- Erlaubt: IVF, IUI, PID bei schweren Erbkrankheiten.
- Verboten: Samenspende (außer in Lebensgefahr), anonyme Eizellspende, Leihmutterschaft mit nicht-jüdischer Tragemutter.
Konservative & Reformgemeinden
Technik wird breiter akzeptiert, Transparenz gegenüber dem Kind bleibt Pflicht.
- Erlaubt: IVF, IUI, Samens- und Eizellspende, Leihmutterschaft, medizinische PID.
- Verboten oder kritisch: willkürliche Embryonenvernichtung, anonyme Spenden.
Hinduismus
Nachkommen gelten als Segen; karmische Konsequenzen sollen vermieden werden.
- Erlaubt: IVF, IUI, Samenspende, Eizellspende, Leihmutterschaft, rituelle Puja-Segnung vor dem Transfer.
- Verboten oder kritisch: absichtliche Embryonenvernichtung.
Buddhismus
Maßgeblich ist Ahimsa – kein Leid verursachen.
- Erlaubt: IVF, IUI, Spenden, Leihmutterschaft, sofern Embryonen erhalten bleiben.
- Verboten oder kritisch: Embryonenvernichtung, Geschlechtsselektion aus nicht-medizinischen Gründen.
Sikhismus
Medizinische Hilfe gilt als göttliches Werkzeug, doch Herkunft muss nachvollziehbar sein.
- Erlaubt: IVF/IUI mit eigenen Gameten, innerfamiliäre Spende, offene Leihmutterschaft.
- Verboten oder kritisch: anonyme Samenspende, Ausbeutung von Leihmüttern.
Bahá'í
Wissenschaft wird begrüßt, aber nur die Ehepartner sollen genetische Quelle sein.
- Erlaubt: IVF, IUI, Kryokonservierung eigener Gameten.
- Verboten: Fremdgameten, Leihmutterschaft, Embryonenforschung.
Taoismus
Technik ist akzeptabel, solange das natürliche Gleichgewicht erhalten bleibt.
- Erlaubt: IVF, IUI, moderater Technikeinsatz, Qi-Gong-Begleitung.
- Verboten oder kritisch: übermäßige Manipulation, willkürliche Embryonenvernichtung.
Konfuzianismus
Familienharmonie und klare Ahnenlinien genießen höchste Priorität.
- Erlaubt: IVF, IUI, innerfamiliäre Spenden, genealogische Offenheit.
- Verboten oder kritisch: anonyme Spenden, Embryonenvernichtung ohne Not.
Shintō
Kein Dogma gegen Technik, aber Reinheitsrituale sind unverzichtbar.
- Erlaubt: IVF, IUI, Spenden, Leihmutterschaft, wenn rituelle Reinigung eingehalten wird.
- Verboten oder kritisch: Missachtung schreinbezogener Reinheitsbräuche.
Zoroastrismus
Technik ist akzeptiert, solange Reinheitsregeln beachtet und das Kindeswohl gewahrt werden.
- Erlaubt: IVF, IUI, Spenden von Zoroastrier-Gameten, reine IVF-Labore.
- Verboten oder kritisch: Embryonenvernichtung, Spenden von Nicht-Zoroastriern ohne Reinheitsritus.
Fazit
Der Überblick zeigt: Fast jede Religion ermöglicht heute Kinderwunschbehandlungen – aber unter klar definierten Bedingungen für IVF, IUI und Samenspende. Wer medizinische Möglichkeiten mit dem eigenen Glauben vereinbaren möchte, sollte Ärztinnen und Ärzte, Geistliche und juristische Fachleute möglichst früh zusammenbringen, damit ethische Leitplanken, medizinische Sicherheit und Elternrechte nahtlos ineinandergreifen.