Künstliche Befruchtung und Religion: Was erlauben Chistentum, Islam, Judentum und andere?

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geschrieben von Zappelphilipp Marx8. Juni 2025
Symbole aller Weltreligionen in einer Kirche

Seit der Geburt von Louise Brown im Jahr 1978 haben sich Reproduktionsmedizin und Glaubenslehre stetig neu austariert. Ob In-vitro-Fertilisation (IVF), Intrauterine Insemination (IUI) oder Samenspende – jedes Verfahren wirft Fragen nach Eheverständnis, Lebensschutz und Abstammung auf. Dieser Leitfaden zeigt, wie die wichtigsten Religionsgemeinschaften 2025 mit Kinderwunschbehandlungen umgehen und welche Grenzen sie ziehen.

Christentum

Von strenger Ablehnung bis zu pragmatischer Zustimmung – die Positionen der christlichen Kirchen unterscheiden sich deutlich.

Katholische Kirche

Donum Vitae und Dignitas Personae erlauben Maßnahmen, die den ehelichen Akt unterstützen (z. B. IUI mit Eigensamen), verbieten jedoch jede künstliche Befruchtung im Labor. Kein Embryo darf verloren gehen.

  • Erlaubt: Zyklusmonitoring, hormonelle Stimulation, NaProTechnology, IUI mit eigenen Gameten, Kryokonservierung mit anschließendem vollständigen Transfer.
  • Verboten: IVF/ICSI, Samenspende, Eizellspende, Leihmutterschaft, Embryonenforschung, nicht-therapeutische PID.

Protestantische Kirchen

Die EKD akzeptiert IVF und IUI bei konsequentem Single-Embryo-Transfer. Evangelikale Denominationen fordern, dass gar keine überschüssigen Embryonen entstehen.

  • Erlaubt: IVF, IUI, medizinisch indizierte PID, Samenspende nach Gemeindebeschluss.
  • Verboten oder kritisch: bewusste Embryonenvernichtung, anonyme Spenden, ungeschützte Leihmutterschaft.

Orthodoxe Kirchen

IVF und IUI sind zulässig, wenn ausschließlich Gameten des Ehepaars verwendet werden. Eine Single-Embryo-Politik soll überschüssige Embryonen vermeiden.

  • Erlaubt: IVF, IUI, Kryokonservierung eigener Embryonen, PID bei letalen Erbkrankheiten.
  • Verboten: Samenspende, Eizellspende, Leihmutterschaft, Embryonenforschung.

Latter-day Saints & Pfingstkirchen

  • LDS (Mormonen): IVF/IUI mit eigenen Gameten erlaubt; Fremdspenden nur nach Gewissensentscheidung.
  • Pfingstkirchen: Bandbreite von Ablehnung bis pragmatischer Zustimmung; IUI wird meist weniger kritisch gesehen als IVF.

Jehovas Zeugen

Kein offizielles Verbot. Leitartikel betonen, dass kein Embryo absichtlich verworfen werden darf. Fremdgameten gelten als Gewissensfrage, werden jedoch häufig abgelehnt.

  • Erlaubt: IVF, IUI, Kryokonservierung eigener Embryonen mit anschließendem Transfer.
  • Verboten oder kritisch: Samenspende, Eizellspende, Leihmutterschaft, nicht-medizinische PID.

Islam

Maßstab ist das Prinzip Nasab, die lückenlose Abstammungslinie.

Sunni

Fatwas beschränken alle Verfahren auf Gameten des Ehepaars.

  • Erlaubt: IVF und IUI mit Ei und Sperma des Ehepaars, Kryokonservierung während bestehender Ehe.
  • Verboten: Samenspende, Eizellspende, Leihmutterschaft, Embryonenadoption.

Shia

Spenden und Leihmutterschaft sind zulässig, wenn Abstammung und Kindesrechte vertraglich geregelt sind.

  • Erlaubt: IVF, IUI, Gameten- und Embryospende, Leihmutterschaft, medizinische PID.
  • Verboten oder kritisch: anonyme Spenden, willkürliche Embryonenvernichtung.

Judentum

Die Halacha bejaht Technik, schützt jedoch Abstammung und Embryonenwürde.

Orthodox

IVF/IUI mit eigenen Gameten sind erlaubt, wenn ein Rabbiner den Laborprozess überwacht. Fremdspenden bleiben die Ausnahme.

  • Erlaubt: IVF, IUI, PID bei schweren Erbkrankheiten.
  • Verboten: Samenspende (außer in Lebensgefahr), anonyme Eizellspende, Leihmutterschaft mit nicht-jüdischer Tragemutter.

Konservative & Reformgemeinden

Technik wird breiter akzeptiert, Transparenz gegenüber dem Kind bleibt Pflicht.

  • Erlaubt: IVF, IUI, Samens- und Eizellspende, Leihmutterschaft, medizinische PID.
  • Verboten oder kritisch: willkürliche Embryonenvernichtung, anonyme Spenden.

Hinduismus

Nachkommen gelten als Segen; karmische Konsequenzen sollen vermieden werden.

  • Erlaubt: IVF, IUI, Samenspende, Eizellspende, Leihmutterschaft, rituelle Puja-Segnung vor dem Transfer.
  • Verboten oder kritisch: absichtliche Embryonenvernichtung.

Buddhismus

Maßgeblich ist Ahimsa – kein Leid verursachen.

  • Erlaubt: IVF, IUI, Spenden, Leihmutterschaft, sofern Embryonen erhalten bleiben.
  • Verboten oder kritisch: Embryonenvernichtung, Geschlechtsselektion aus nicht-medizinischen Gründen.

Sikhismus

Medizinische Hilfe gilt als göttliches Werkzeug, doch Herkunft muss nachvollziehbar sein.

  • Erlaubt: IVF/IUI mit eigenen Gameten, innerfamiliäre Spende, offene Leihmutterschaft.
  • Verboten oder kritisch: anonyme Samenspende, Ausbeutung von Leihmüttern.

Bahá'í

Wissenschaft wird begrüßt, aber nur die Ehepartner sollen genetische Quelle sein.

  • Erlaubt: IVF, IUI, Kryokonservierung eigener Gameten.
  • Verboten: Fremdgameten, Leihmutterschaft, Embryonenforschung.

Taoismus

Technik ist akzeptabel, solange das natürliche Gleichgewicht erhalten bleibt.

  • Erlaubt: IVF, IUI, moderater Technikeinsatz, Qi-Gong-Begleitung.
  • Verboten oder kritisch: übermäßige Manipulation, willkürliche Embryonenvernichtung.

Konfuzianismus

Familienharmonie und klare Ahnenlinien genießen höchste Priorität.

  • Erlaubt: IVF, IUI, innerfamiliäre Spenden, genealogische Offenheit.
  • Verboten oder kritisch: anonyme Spenden, Embryonenvernichtung ohne Not.

Shintō

Kein Dogma gegen Technik, aber Reinheitsrituale sind unverzichtbar.

  • Erlaubt: IVF, IUI, Spenden, Leihmutterschaft, wenn rituelle Reinigung eingehalten wird.
  • Verboten oder kritisch: Missachtung schreinbezogener Reinheitsbräuche.

Zoroastrismus

Technik ist akzeptiert, solange Reinheitsregeln beachtet und das Kindeswohl gewahrt werden.

  • Erlaubt: IVF, IUI, Spenden von Zoroastrier-Gameten, reine IVF-Labore.
  • Verboten oder kritisch: Embryonenvernichtung, Spenden von Nicht-Zoroastriern ohne Reinheitsritus.

Fazit

Der Überblick zeigt: Fast jede Religion ermöglicht heute Kinderwunschbehandlungen – aber unter klar definierten Bedingungen für IVF, IUI und Samenspende. Wer medizinische Möglichkeiten mit dem eigenen Glauben vereinbaren möchte, sollte Ärztinnen und Ärzte, Geistliche und juristische Fachleute möglichst früh zusammenbringen, damit ethische Leitplanken, medizinische Sicherheit und Elternrechte nahtlos ineinandergreifen.

Häufig gestellte Fragen (FAQ)

Ja. Nach Donum Vitae und Dignitas Personae lehnt die katholische Lehre IVF im Labor ab, erlaubt aber IUI und zyklusunterstützende Verfahren, solange kein Embryo verloren geht.

Ja. Im sunnitischen Islam sind IVF und IUI mit Ei und Samen des Ehepaars erlaubt, während Samenspende und Leihmutterschaft verboten sind.

Im Sunnitentum ist Samenspende haram, da sie die Abstammungslinie (Nasab) stört; Schiiten können Spenden unter strikter Dokumentation erlauben.

Orthodoxe Rabbiner lehnen anonyme Spenden und Leihmutterschaft meist ab; konservative und reformierte Gemeinden erlauben beides unter Transparenz und ggf. Gijur.

IVF findet außerhalb des Körpers statt und wird strenger reguliert, IUI gilt als weniger eingreifend und wird öfter akzeptiert.

Ja, soweit alle eingefrorenen Embryonen in einer festgelegten Frist eingesetzt werden und nur eigene Gameten genutzt werden.

Es gibt kein formelles Verbot, doch Leitartikel betonen, dass kein Embryo absichtlich vernichtet werden darf.

Ja. In vielen hinduistischen Gemeinschaften sind Samenspende und Eizellspende akzeptiert, solange keine Embryonen zerstört werden.

Das Prinzip Ahimsa verbietet die Vernichtung von Embryonen; IVF ist erlaubt, wenn alle Embryonen respektvoll behandelt werden.

IVF und IUI mit eigenen Gameten sind legitim, anonyme Samenspende wird abgelehnt, Transparenz ist zentral.

In katholischer Lehre verboten, Protestanten und Juden erlauben PID bei schweren Erbkrankheiten, Islam differenziert nach Fatwa.

Fast alle Kirchen und Islam akzeptieren Kryo, wenn nach strengen Regeln alle Embryonen eingesetzt werden.

Ja, z. B. Ramadan im Islam oder Karwoche im Christentum, viele Paare planen um Fastenzeiten herum.

In den meisten Religionen wird IVF und IUI unverheirateten Paaren meist nicht gestattet.

Fast überall verboten, da sie als Eingriff in göttliche Schöpfung und Embryonenschutz gelten.

Ja. Leihmutterschaft wird meist strenger abgelehnt als Samenspende, da sie zwei Partnerschaften involviert.

Reformierte Juden und progressive Protestanten erlauben es, während Katholiken und Islam es verbieten.

Ja, viele Kliniken bieten seelsorgerische Begleitung durch Pfarrer, Imam oder Rabbiner an.

Vatikan, EKD, Islamische Fiqh-Akademien und Rabbinische Räte veröffentlichen Leitfäden auf ihren Webseiten.

Empfohlen ist ein interdisziplinärer Ansatz: Ärzt:innen, Geistliche und Jurist:innen arbeiten gemeinsam an einem Behandlungsplan.